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«Im alten Laden fragte ich mich lange: Wann soll ich künden? Eines Tages schlug ich zu Hause die Bibel auf und las den Satz: Ihr werdet nicht mehr mit den Heiden am Tisch sitzen und mit ihnen das Brot teilen. Natürlich fasste ich die Kollegen nicht als Heiden auf, das wäre hochmütig. Doch die Stelle sprach mich an. Der Fall war klar: Ich wollte keinen Chef mehr über mir, ausser Gott.

So habe ich einen Veloladen in Zürich eröffnet, die Veloschmiede. Nicht ohne Herzklopfen, ich gebe es zu. Einmal stand ich in der Nacht vor dem Geschäft, plötzlich bekam ich Angst. Was, wenn ich die Fixkosten nicht decken kann? Ich blickte auf, sah ein Schild: Gotthelfstrasse. Ich fasste wieder Vertrauen.

Es gibt zwei Arten von Dummheit. Die einen glauben, sie könnten jede Last allein tragen. Die anderen glauben, es helfe ihnen tatsächlich ein Gott dabei. Ich führe dieses Geschäft nun seit mehr als zwei Jahren, doch Sorgen ums Geld machte ich mir nie. Auch wenn im Winter mal ein Monat lang nichts läuft: Da bin ich voll chillig drauf. Mit Gott ist das Leben nicht einfacher, aber besser. Wenn man mich fragt, erzähle ich gern davon, sonst hänge ich meinen Glauben aber nicht an die grosse Glocke, ich trage ja nicht mal ein Kreuz. Das hab ich im Herzen. Ich versuche auch da, einfach meinem Namen gerecht zu werden: Sottile heisst subtil.

Ein Jahr lang habe ich vor allem Schulden zurückbezahlt, erst jetzt kann ich anfangen zu sparen. Das Lädeli trägt Früchte. Es wird mir gutgehen, so viel weiss ich.

Das war nicht immer so, ich komme aus schwierigen Verhältnissen. Hab zum Beispiel neunmal die Schule gewechselt, pendelte immer zwischen Zürich und dem Tessin, zwischen den Sprachen, war immer in irgendeinem Internat, im Florhof, im Sonnenberg, im Riva Piana, in der Casa Primavera. Zum Glück hatte ich da mal einen Erzieher, der mich in etwas Schönes einweihte. Er zeigte mir nämlich, was für ein Spass so ein BMX ist, wie geschmeidig man damit durch die Gegend gleiten kann. Es war eine heikle Phase, doch dank dem BMX hatte ich wieder etwas, das mit Spass machte.

Ich wäre gern Grafiker geworden, dafür hätte ich aber die Sek A gebraucht. Weil ich immer auch Velos liebte, habe ich mich dann für diesen Beruf entschieden. Ich konnte meine Lehre erst nach zweihundert Bewerbungen anfangen. Was auch damit zu tun hat, dass ich früher Mist gebaut habe. Ich war halt ein schwieriger Fall.

Heute bin ich auf dem richtigen Weg. Ich will anderen helfen. Drum habe ich jetzt auch einen Jungen, der bei mir eine Anlehre macht. Ich wusste, dass bei ihm irgendetwas Böses passiert ist. Er wirkte oft leblos, freudlos. Ich sagte ihm, er solle nebenher doch einfach ein Rennvelo für sich selbst bauen. Weisst du, was er dann tat? Er fing an, mit seinem Handy Fötelis davon zu schiessen. Er hat jetzt wieder etwas, worauf er stolz ist.»

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